Gott lieben

Was ist das Wichtigste im Christentum? Was bildet den Kern der christlichen Lebenspraxis? Gedanken dazu von Unipfarrer Jakob Bürgler findest du hier.

31. Sonntag im Jahreskreis

3. November 2024

Dreiheiligen und Dom zu St. Jakob

 

Was ist das Wichtigste im christlichen Glauben? Wenn ich eine Umfrage machen würde, dann würden wohl die meisten antworten: Die Nächstenliebe. Die Art, wie wir miteinander umgehen. Die Solidarität. Die Antwort stimmt, und sie stimmt nicht.

Den Nächsten lieben: Das ist eine Frage der Menschlichkeit, eine Frage, wie man die Würde des Menschen einschätzt, eine Frage, welchen Wert der Mensch hat. Wie gehe ich mit den anderen um? Mit welcher Haltung begegne ich meinen Mitmenschen? Und es stimmt: Wer Christ oder Christin ist, der wird dieser Frage einen hohen Stellenwert beimessen. Die Liebe zum Nächsten gehört zum Kern des Christentums, gehört zu den ganz großen Entwicklungsschritten, die das Christentum in die Geschichte der Welt eingebracht hat.

Aber: Da fehlt doch noch etwas. Jesus hat auf die Frage, welches Gebot das erste von allen ist, ja noch mehr gesagt. „Das erste ist: Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mk 12,29-31)

Wenn man auf die Frage nach dem, was im Christentum am wichtigsten ist, die Nächstenliebe nennt, dann fehlt der ganze erste, lange Satz. Man kann ein edler, guter Mensch sein, ein Vorbild, ohne ein Christ zu sein. Und das ist etwas Wunderbares! Wären wir Christen nur halbwegs so edel und gut im Umgang miteinander! Aber scheinbar fehlt für das typisch Christliche noch etwas. Die Liebe zu Gott.

„Gut, werden Sie sagen, das ist doch im Grunde dasselbe, Gottesliebe ist nur ein anderes Wort für Nächstenliebe. Gott begegnen wir im Nächsten, wo denn sonst? Den Nächsten lieben und Gott lieben, das ist eins. Aber offenbar ist in der Antwort Jesu nicht nur eins gesagt, sondern zweierlei. Im ersten Satz spricht er von der Gottesliebe, im zweiten von der Nächstenliebe. Beides ist zwar eng miteinander verbunden, aber es ist nicht dasselbe.“[1]

Und dazu wird die Liebe zu Gott auch noch in den höchsten Tönen beschrieben, mit einem Höchstmaß an Intensität und Kraft. Mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Das ist stark. Das geht nicht so nebenbei. Das ist nicht nur die Folge einer besonderen Liebe zu den Menschen. Das verdient Aufmerksamkeit.

Aber wie kann man Gott so innig lieben? „Gott lieben, das wird wohl nicht völlig anders sein als sonst, wenn Menschen sich verlieben. Man muss sich treffen, Gelegenheiten suchen, um zusammenzusein, damit man sich nicht aus den Augen verliert. In jedem Gespräch ist es wichtig, auf den anderen zu hören. Das gilt erst recht gegenüber dem Wort des Ganz-Anderen, das uns in der Heiligen Schrift begegnet. Die Begegnung muss lauter sein, rein in der Absicht.“[2]

Also: Sich Zeit dafür nehmen. Intensiv hören lernen. Ehrlich und bewusst die Nähe Gottes suchen. Und wenn es auch nur begrenzte Zeiten sind: Ein abendliches Innehalten. Ein Lob am Morgen. Der Dank bei Tisch. Die Eucharistie. Wer von all dem nichts übt und einübt, wer keine Zeit für die Beziehung und Freundschaft mit Gott hat, der wird im christlichen Leben nicht weiterkommen.

Eine spezielle Art, Gott zu lieben, beschreibt der vor kurzem verstorbene Altbischof Franz Kamphaus mit einem Gedanken von Meister Eckhart. „‘Manche Menschen wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen. Sie wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und wegen des Käses und deines eigenen Nutzens. … Die aber lieben Gott nicht recht, sondern sie lieben ihren Eigennutz.‘ Gott lässt sich nicht vermarkten wie eine Kuh. Er möchte uns auf einer anderen Ebene begegnen, wo jemand sagt: Ohne dich möchte ich nicht leben. Ich liebe dich nicht, weil ich etwas von dir haben will, sondern weil du du bist.“[3]

Habe ich Jesus Christus gern? Will ich in seiner Nähe sein? Liegt mir etwas an der Freundschaft mit ihm? Zeigt sich das in meinem Leben? Das sind wesentliche Fragen, ausgehend vom heutigen Evangelium. Fragen, die zum Wesentlichen des christlichen Glaubens führen.

Und dabei geht es immer um eine Antwort. Wenn ich Gott zu lieben beginne, dann deshalb, weil ich auf ihn antworte. Er ist es, der mich zuerst liebt. Er beginnt mit der Aufnahme der Freundschaft. „Er liebt uns nicht deswegen, weil wir besonders tugendsam sind oder weil er etwas von uns haben will; er liebt uns, obwohl wir ihm nichts zu bieten haben; er liebt uns selbst dann noch, wenn wir heruntergekommen sind… Christlich zu lieben heißt, den Weg Jesu nachzugehen: nicht nur den zu lieben, der uns sympathisch ist, der zu uns passt, und erst recht nicht nur den, der uns etwas zu bieten hat oder von dem wir uns Vorteile erhoffen. Im Sinne Jesu zu lieben heißt, dass wir gut sind zu dem, der unsere Güte braucht…“[4]

Also: Vergessen wir den ersten langen Satz nicht. Gott mit ganzem Herzen lieben. Einfach deshalb, weil er da ist. Bei ihm in die Schule gehen und von ihm lernen. Dann wird die Nächstenliebe nicht nur soziales Handeln sein, sondern Übersetzung und Anwendung der Liebe Gottes.

 

Jakob Bürgler

 

 

[1] Franz Kamphaus, Der Unbekannte aus Nazaret. Patmos-Verlag 2023, 246.

[2] Ebd. 247.

[3] Ebd. 247-248.

[4] Ebd. 249.

Kategorie:

Datum: 03.11.2024

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